Über das Aufgeben.

Mit Dank an Christian O. für die Inspiration.

von Ulrike Dürnfeld



Letztens zeigte mir ein Bekannter sein neues Tattoo: „Never give up“ war auf seinem linken Unterarm zu lesen. „Und wenn es gar nicht mehr geht, dann decke ich den ersten Buchstaben ab“, ergänzte er. Ihm ging es nicht gut zu dieser Zeit, und das war sein Humor, mit der Situation umzugehen.

 

Mich hat das ins Nachdenken gebracht. „Never give up“ ist eine Hilfe und Unterstützung in Zeiten, in denen es nicht so läuft wie gewünscht. Es kann trösten und mir bewusst machen, dass auch wieder bessere Zeiten kommen werden. Wie eine Mutter, ein Vater, die mich beschützend in den Arm nehmen und versuchen, mir den Glauben und das Vertrauen zurückzugeben, dass es auch wieder anders wird. Es ist tröstend, eine solche Erinnerung auf dem linken Unterarm bei sich zu tragen.

 

Was mich aber mehr beschäftigte: „ever give up“. Als er das sagte, war ich ein bisschen erschrocken. Will er sich jetzt aufgeben? Das hat mir Angst gemacht, weil es schade wäre um ihn als Mensch. Er sagte den Satz aus einer solchen Traurigkeit, Erschöpfung heraus.

 

Aufgeben, ich gebe etwas auf.

 

Aufgeben ist in unseren Breitengraden behaftet mit Niederlage. Man fühlt sich dann schnell als Verlierer. Aufgeben wird assoziiert mit „Du hast verloren, ich bin der Gewinner (über Dich).“ Und wird degradiert. Dabei gehen wir von der Prämisse aus, dass nur Gewinner die „Guten“, „Besten“ sind.

Dennoch, ist es nicht genau andersherum? „Verlierer“ sind diejenigen, die sich in diesen Momenten mit sich selbst beschäftigen (müssen). Es macht etwas mit mir, durch eine schlimme Zeit zu gehen, um Hilfe zu bitten, Tage und Nächte voller Dunkelheit zu durchleben. Es zeugt aber auch von Durchhaltevermögen und Stärke, Überlebenswillen. Niederlagen sind die Wachstumsmöglichkeiten des Lebens. Immer nur zu gewinnen, macht mich vielleicht finanziell reicher – ich bezweifle aber, dass man an solchen Situationen genauso innerlich wächst wie an Niederlagen. Wer ist am Ende wirklich der Gewinner? Geht es um das finanzielle oder spirituelle „reicher werden“?

 

Einen Job aufgeben, einen Menschen aufgeben, das bedeutet Wandel. Es wird anders als vorher, es bleibt nicht so, wie es war. Das bedeutet manchmal Abschiedsschmerz, Trauer; vor allem, wenn mir die vergangenen Dinge viel bedeutet haben. Sie werden nicht mehr wiederkommen. Sie sind weg. Das zu realisieren und zu verarbeiten, benötigt Zeit. Es ist hilfreich, sich Unterstützung zu suchen, wenn die Trauer überhandnimmt. Und sei es auch nur der Anruf bei der Telefonseelsorge.

Aufgeben bedeutet, dass ich die jetzige Situation aufgebe, loslasse. Mich herausbewege aus meiner Komfortzone. Ich befreie mich von etwas Vergangenem und begebe mich ins Ungewisse, die Zukunft, in das Danach; niemand weiß, was passieren wird. Das kann Angst verursachen – „never give up“.

 

Aufgeben kann aber auch Erlösung sein. Loslösung. Denn ich mache mich frei von etwas, ich lasse los. Ich gebe den Gedanken in die Welt, lasse Menschen von dannen ziehen, schicke sie auf ihre Reise und befreie mich gleichzeitig von Ballast. Ich werde leichter und verändere meinen Blick nach oben, nach vorne. In regelmäßigen Abständen immer wieder aufzugeben, kann mich also auch retten. Dass ich an der Luft, über Wasser und bei mir bleibe.  

 

In alten Zeiten wurde viel öfter etwas aufgegeben, nämlich Telegramme, Briefe. An Freunde, nahestehenden Menschen. Wenn man etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, jemandem seine Zuneigung zeigen wollte. Aufgeben – es kann auch etwas Schönes sein.

Auf alle Fälle ist es etwas, das ich selbst aktiv tue: Nicht aufgeben, aufgeben.

 

Never give up – ever give up.

In beidem steckt viel Trost und Hoffnung. Ich wünsche uns beides.

 

 
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